Prosa 9

Aus:

Im Kreis

II.
......

Meine Tatsachen sind tote Tiere. Es ist tot, mein Denken an Tatsachen.
Totsachen, sage ich.
Für alle Dinge auf der Welt nur noch Vergangenheitssprache.
Erinnerung nur noch flach.
Hirnverflachung parallel zu Flachbildschirmen.
Alles auf Flächen abbildbar.
Der Mond, die silberne Scheibe, wie stieg er herauf, silbern über den Wipfeln erschien er, einst, und wir wollten singen, eines der alten Lieder, ein Mondlied.
Ich will fernsehen. Jetzt. Totsachen anschauen.

III.
Das Fernsehen ist der Mann im Mond.
Nächtelang habe ich diesen Mondmann angestarrt.
Bilder schossen in meinen Kopf, schossen mir in den Leib, durchs Fleisch hindurch, trafen mich in dieser Verwachsung, hart und flachsig, im Herzen.
Dort, an den Mordschauplätzen des Mondmannes, traf es und es hätte mich treffen können, mitten hinein in dieses Ichagglomerat, diese irgendwie in die Welt geschüttete Masse. Oder gepustet oder gesprüht, wie Lack. Wirklichkeit: beliebig, alles gleichschlimm.

Fernsehen,
du Mond unseres Lebens
in der Stadt und in den Dörfern.
flimmerndes Orakel,
strahlend weissagst du uns unser Leben.
in dein bedeutungsvolles Licht getaucht, verwandeln sich unsere Wohnungen in Katakomben, in denen wir dir opfern.
in deinem überirdischen Glanz heben wir zu träumen an,
andächtig.
und alsbald sinkt Schlaf hernieder,
mit offenem Mund , sinken vor dir nieder
alle, Mond, der du Segen ins Haus bringst,
Leben der Unter- und Überirdischen,
du löst den kochenden Saft in den Adern auf in silbriges Bildpulver, galvanisiertes Material, in Sprache , Gelächter, Geschichten.
Du verkündest den Tod.
Ich erinnere mich an den letzten Krieg, von dem du erzähltest.
Ist er schon zuende?
Oder ist ein anderer Krieg?
Sag, welchen Krieg haben wir jetzt?

Ich meine diesen Krieg, diese Bilder, du weißt, aus den Gefängnissen, diese Menschenpyramiden, nackt, Gelächter und Pein, Lachen und Not in kochendem Blut, du silbrig und gleichgültig, silbern die Bilder, silbern das Lachen bei brechendem Blick, Triumph und Hundeleinen, Kapuzen auf wackligen Kisten, Elektrokabel und wumm, und Angst, und gleich, Videos, Bilder, das Sterben oder Gesänge, wild und ekstatisch vermischt mit Schreien, Todesangst und Kopfab und zerstückelt und geschleift. All das. BilderBilder Bilder.
Männer, wo sterben die, im Krieg? Oder schon nicht mehr in Kriegen?
Und Frauen? An Straßenrändern? Im Wald verscharrt, Mädchen, vergessen in Kellern, verdurstet, verwest. Kinder. Irgendwo draußen. Oder drinnen. Hochgebombt in Turnsälen.
Kein Überblick, überall diese Anhäufungen, ein Durcheinander ist das!
Man findet nichts mehr.
Ich finde mich nicht zurecht. Mein Blick schrumpft.
Die Welt ist ein Quadrat.
Die Anhäufungen verflachen das Elend.
Am besten, ich ziehe mich zurück.
Bis ins innerste Mark.
Dort bleibt alles, wie es ist. Sich selbst gleich. Eine wogende Masse, wie ein leise rauschendes Ährenfeld, goldgelb, nur ringsherum gelagert das Elend im Bildformat. Wie Jagdbomber plötzlich aus dem Nichts, zuckende sirrende Spur, und weg. Zurück bleiben: Schrott und nichts.
Nur die Sätze.
Sätze wie: Morgen ist auch noch ein Tag.
Oder: Warum nicht gleich so?
Oder: Lieber gestern als heute.
Oder Lieber heute als morgen.
Die Sätze glänzen nach allen Seiten.
Ich höre mich sagen: sterblicher geht's nicht.
Es ist so dunkel.

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